Samstag, 22. Juni 2013



Sich der Welt stellen, wie sie ist

Ein Interview mit dem Organisationsteam der Autorenlounge 2013 



Martje Friedrich, Jannis Klasing, Jana Beckmann, Anne Brammen


















Die Autorenlounge geht dieses Jahr in die vierte Runde. Ihr bezeichnet Euch nun selbst nicht mehr als "Festival", sondern als "Forum für neue Dramatik". Was ist in diesem Jahr anders?


Die wohl wichtigste Änderung in diesem Jahr ist, dass wir die szenischen Lesungen nicht mehr an zwei Tagen dem Publikum präsentieren, sondern nun einen kompakten Tag der neuen Dramatik vorbereiten und gestalten, an dem das Hamburger Publikum die Möglichkeit hat, alle unsere Teilnehmer auf der Bühne und hinterher beim Publikumsgespräch kennenzulernen. Diese Komprimierung des Formats hat auch zu der Umbenennung von „Festival” in „Forum” geführt.

Mit der Bezeichnung „Forum“ wollen wir die offene Begegnung und den Austausch in den Vordergrund rücken. Begegnungen, in denen es möglich ist, sich über Arbeitsweisen, Bedürfnisse und Wünsche auszutauschen, aber auch Unfertiges zu thematisieren. Vermarktung und Verwertung sollen nicht im Vordergrund stehen. Die allgemeine Konkurrenz- und Bewertungslogik in Theater und Gesellschaft wollen wir bewusst in Frage stellen.

So ist für uns beispielsweise die Abschlusspräsentation zwar wichtig, aber sie ist mehr als Einblick in einen Prozess zu verstehen, in die Arbeit und Auseinandersetzung zwischen den Teilnehmern der Autorenlounge, die den Lesungen vorausgeht.


Für wen ist die Autorenlounge? Handelt es sich vor allem um eine Veranstaltung für Dramaturgen und Autoren?


Die Autorenlounge richtet sich einerseits an Theaterschaffende aller Disziplinen, aber andererseits vor allem an ein interessiertes Hamburger Publikum, das neugierig darauf ist, was momentan junge Dramatiker beschäftigt, mit welchen Formen und Mitteln sie experimentieren und wofür sie Position beziehen. Jeder, der Lust hat auf neue, frische Theatertexte und den Austausch zu junger Dramatik, ist bei uns herzlich willkommen!

An den drei Tagen der Autorenlounge ist der Fokus so gesetzt, dass sich dabei jeder angesprochen fühlen kann, wie zum Beispiel beim „Denkraum“, einem Colloqium für jeden, der Lust hat, über kollektive Autorenschaft zu diskutieren, bis hin zu den Abschlusspräsentationen, dem anschließenden Publikumsgespräch oder einem offenen Austausch mit den AutorInnen und DramaturgInnen nach der Veranstaltung.


Was kann das Publikum von den Abschlusspräsentationen erwarten?


Das Publikum bekommt einen Einblick in die Schreibweisen und Themen, mit denen sich unsere fünf Autoren auseinandersetzen. Dabei geht es uns nicht um eine perfekt inszenierte und aufbereitete Lesung. Die Teams werden erst zwei Tage vor der Lesung zusammengelost, Strichfassung und Proben sind daher bewusst mit heißer Nadel gestrickt.

Die Autorenlounge besteht gewissermaßen aus einer Zweiteilung. Zunächst arbeiten die AutorInnen und DramaturgInnen gemeinsam für sich an den noch unfertigen Texten. Dann stoßen die 17 Schauspieler dazu und bringen Leben in die Texte. In einem letzten Schritt werden die Arbeitsergebnisse dann dem Publikum präsentiert und in einem Publikumsgespräch zur Diskussion gestellt.


Ihr habt wieder einmal eine Vielzahl von Stücken junger AutorInnen gelesen. Lässt sich allgemein etwas zum gegenwärtigen Stand der Dramatik sagen? Gibt es einen Trend zu verzeichnen, formal wie inhaltlich?


Festzustellen ist sicherlich einerseits ein neuer großer Mut aus Theater- und Sprachkonventionen auszubrechen – vielleicht so etwas wie eine Kontinuität oder Weiterentwicklung sogenannten „postdramatischen“ Erzählens –, aber andererseits bei vielen Texten auch eine große Lust an facettenreichen Figuren, Dialogen und lebendigem Erzählen, eine scheinbar neu aufflammende Liebe für das Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion.

Was vorbei zu sein scheint, ist die vor ein paar Jahren noch so verbreitete Bewegung nach innen, der Rückzug ins Private. Aktuelle Texte scheinen wieder massiv auf politische Missstände reagieren zu wollen. Sie stellen sich der Welt, so wie sie ist, entgegen. Sie greifen das Unzumutbare an und sehnen sich den Ausbruch als Utopie herbei, was uns beim Lesen der Texte sehr gefreut hat.


Wie habt ihr zu der Auswahl der diesjährigen Stücke gefunden? Welche Kriterien waren ausschlaggebend?


Eine gewisse Bandbreite war uns wichtig, um so ein mehr- und vielstimmiges Bild aktueller Dramatik abbilden zu können. Was die Texte selbst betrifft, sind uns immer Texte ins Auge gesprungen, die ein hohes Bewusstsein für sprachliche und dramaturgische Gestaltungsmittel haben, experimentelle Texte. Aber auch solche, die der eher „klassischen“ dramatischen Dialogstruktur neue Töne und eine neue, ganz eigene Qualität abgewinnen können.

Die Auswahl lief über persönliche Empfehlungen und Verlage, die wir angefragt haben, aber auch über unabhängig eingereichte Texte. Aus diesem Pool von Texten haben uns vor allen Dingen diejenigen Autoren besonders interessiert, welche die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Diskursen und Themen nicht scheuen, sich aber ihnen auch nicht unterwerfen. Texte, die einen indirekten Zugriff auf politische Themen haben, aber nicht explizit abbilden, beispielsweise durch die Verwebung von Realität und Fiktion, die Überzeichnung hin zum Absurden, oder Texte, bei denen die Sprache selbst zum Material wird, so dass die gewohnheitsmäßige Wahrnehmung überrascht, irritiert und erschüttert und somit der Blick für das geschärft wird, was in aller Regel die Ausnahme bleibt: das Liegengelassene, das Unaufgehobene, das, was eben gerade nicht aufgeht.


Der Denkraum in diesem Jahr findet zum Thema kollektiver Textarbeit und Stückentwicklungen statt. Ist Eurer Meinung nach das Bild eines einzelnen Autors, der zunächst unabhängig von Inszenierung und Aufführung einen Text entwirft, erneuerungsbedürftig?


Ja, es verändert sich etwas. Natürlich gibt es nachwievor individuelle Autoren, die von Verlagen vertreten werden und Aufführungen ihrer Texte auf Bühnen erleben. Das wird sicher nie verschwinden. Parallel dazu beobachten wir aber, dass immer mehr Autorenteams auftreten oder Performancegruppen einen ganz anderen – eben kollektiven – Ansatz der Textproduktion für sich ausprobieren.

Der Autor als vermeintlich feste Entität, auch der Geniebegriff, wird immer vehementer aufgebrochen. Eine große Sehnsucht und Bereitschaft junger Theatermacher ist auszumachen, viele Kräfte und Perspektiven zu bündeln, was ein neues – sehr lebendiges und wandelbares – Verständnis von Text oder Autorenschaft mit sich bringt.

Der Zweifel an Autoritäten, der Zweifel auch an blindem Individualismus und an absoluter und unantastbarer Urheberschaft ist bei den jungen Autoren spürbar und bricht sich in neuen, kollektiven Formen der Zusammenarbeit und der Produktion von Text und Bedeutung immer mehr Bahn.

Das Bild des individuellen Autors ist sicher nicht vollständig verblasst, aber neue Formen der Urheberschaft und ein neues Spiel mit Bedeutungen ist zu erleben und zu diskutieren.


Die Fragen stellte Michael Isenberg (ab der nächsten Spielzeit Dramaturg am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf).

Die Leitung der Autorenlounge 2013 setzt sich zusammen aus Jana Beckmann, Anne Brammen, Martje Friedrich und Jannis Klasing – mit Unterstützung von Anne Rietschel.


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