Sich der Welt stellen, wie sie ist
Ein Interview mit dem Organisationsteam der Autorenlounge 2013
Martje Friedrich, Jannis Klasing, Jana Beckmann, Anne Brammen |
Die Autorenlounge geht dieses Jahr in die vierte Runde. Ihr bezeichnet Euch nun selbst nicht mehr als "Festival", sondern als "Forum für neue Dramatik". Was ist in diesem Jahr anders?
Die wohl wichtigste Änderung in diesem Jahr ist, dass wir die szenischen
Lesungen nicht mehr an zwei Tagen dem Publikum präsentieren, sondern nun einen
kompakten Tag der neuen Dramatik vorbereiten und gestalten, an dem das
Hamburger Publikum die Möglichkeit hat, alle unsere Teilnehmer auf der Bühne
und hinterher beim Publikumsgespräch kennenzulernen. Diese Komprimierung des
Formats hat auch zu der Umbenennung von „Festival” in „Forum” geführt.
Mit der Bezeichnung „Forum“ wollen wir die offene Begegnung und den
Austausch in den Vordergrund rücken. Begegnungen, in denen es möglich ist, sich
über Arbeitsweisen, Bedürfnisse und Wünsche auszutauschen, aber auch Unfertiges
zu thematisieren. Vermarktung und Verwertung sollen nicht im Vordergrund
stehen. Die allgemeine Konkurrenz- und Bewertungslogik in Theater und
Gesellschaft wollen wir bewusst in Frage stellen.
So ist für uns beispielsweise die Abschlusspräsentation zwar wichtig,
aber sie ist mehr als Einblick in einen Prozess zu verstehen, in die Arbeit und
Auseinandersetzung zwischen den Teilnehmern der Autorenlounge, die den Lesungen
vorausgeht.
Für wen ist die
Autorenlounge? Handelt es sich vor allem um eine Veranstaltung für Dramaturgen
und Autoren?
Die Autorenlounge richtet sich einerseits an Theaterschaffende aller
Disziplinen, aber andererseits vor allem an ein interessiertes Hamburger
Publikum, das neugierig darauf ist, was momentan junge Dramatiker beschäftigt,
mit welchen Formen und Mitteln sie experimentieren und wofür sie Position
beziehen. Jeder, der Lust hat auf neue, frische Theatertexte und den Austausch
zu junger Dramatik, ist bei uns herzlich willkommen!
An den drei Tagen der Autorenlounge ist der Fokus so gesetzt, dass sich
dabei jeder angesprochen fühlen kann, wie zum Beispiel beim „Denkraum“, einem
Colloqium für jeden, der Lust hat, über kollektive Autorenschaft zu
diskutieren, bis hin zu den Abschlusspräsentationen, dem anschließenden
Publikumsgespräch oder einem offenen Austausch mit den AutorInnen und
DramaturgInnen nach der Veranstaltung.
Was kann das Publikum von den Abschlusspräsentationen erwarten?
Das Publikum bekommt einen Einblick in die Schreibweisen und Themen, mit
denen sich unsere fünf Autoren auseinandersetzen. Dabei geht es uns nicht um
eine perfekt inszenierte und aufbereitete Lesung. Die Teams werden erst zwei
Tage vor der Lesung zusammengelost, Strichfassung und Proben sind daher bewusst
mit heißer Nadel gestrickt.
Die Autorenlounge besteht gewissermaßen aus einer Zweiteilung. Zunächst
arbeiten die AutorInnen und DramaturgInnen gemeinsam für sich an den noch
unfertigen Texten. Dann stoßen die 17 Schauspieler dazu und bringen Leben in
die Texte. In einem letzten Schritt werden die Arbeitsergebnisse dann dem
Publikum präsentiert und in einem Publikumsgespräch zur Diskussion gestellt.
Ihr habt wieder einmal eine
Vielzahl von Stücken junger AutorInnen gelesen. Lässt sich allgemein etwas zum
gegenwärtigen Stand der Dramatik sagen? Gibt es einen Trend zu verzeichnen,
formal wie inhaltlich?
Festzustellen ist sicherlich einerseits ein neuer großer Mut aus Theater- und
Sprachkonventionen auszubrechen – vielleicht so etwas wie eine Kontinuität oder
Weiterentwicklung sogenannten „postdramatischen“ Erzählens –, aber andererseits
bei vielen Texten auch eine große Lust an facettenreichen Figuren, Dialogen und
lebendigem Erzählen, eine scheinbar neu aufflammende Liebe für das Spiel mit
Wirklichkeit und Fiktion.
Was vorbei zu sein scheint, ist die vor ein paar Jahren noch so
verbreitete Bewegung nach innen, der Rückzug ins Private. Aktuelle Texte
scheinen wieder massiv auf politische Missstände reagieren zu wollen. Sie
stellen sich der Welt, so wie sie ist, entgegen. Sie greifen das Unzumutbare an
und sehnen sich den Ausbruch als Utopie herbei, was uns beim Lesen der Texte
sehr gefreut hat.
Wie habt ihr zu der Auswahl
der diesjährigen Stücke gefunden? Welche Kriterien waren ausschlaggebend?
Eine gewisse Bandbreite war uns wichtig, um so ein mehr- und
vielstimmiges Bild aktueller Dramatik abbilden zu können. Was die Texte selbst
betrifft, sind uns immer Texte ins Auge gesprungen, die ein hohes Bewusstsein
für sprachliche und dramaturgische Gestaltungsmittel haben, experimentelle
Texte. Aber auch solche, die der eher „klassischen“ dramatischen Dialogstruktur
neue Töne und eine neue, ganz eigene Qualität abgewinnen können.
Die Auswahl lief über persönliche Empfehlungen und Verlage, die wir
angefragt haben, aber auch über unabhängig eingereichte Texte. Aus diesem Pool
von Texten haben uns vor allen Dingen diejenigen Autoren besonders
interessiert, welche die Auseinandersetzung mit aktuellen
gesellschaftspolitischen Diskursen und Themen nicht scheuen, sich aber ihnen
auch nicht unterwerfen. Texte, die einen indirekten Zugriff auf politische
Themen haben, aber nicht explizit abbilden, beispielsweise durch die Verwebung
von Realität und Fiktion, die Überzeichnung hin zum Absurden, oder Texte, bei
denen die Sprache selbst zum Material wird, so dass die gewohnheitsmäßige
Wahrnehmung überrascht, irritiert und erschüttert und somit der Blick für das
geschärft wird, was in aller Regel die Ausnahme bleibt: das Liegengelassene,
das Unaufgehobene, das, was eben gerade nicht aufgeht.
Der Denkraum in diesem Jahr
findet zum Thema kollektiver Textarbeit und Stückentwicklungen statt. Ist Eurer
Meinung nach das Bild eines einzelnen Autors, der zunächst unabhängig von
Inszenierung und Aufführung einen Text entwirft, erneuerungsbedürftig?
Ja, es verändert sich etwas. Natürlich gibt es nachwievor individuelle
Autoren, die von Verlagen vertreten werden und Aufführungen ihrer Texte auf
Bühnen erleben. Das wird sicher nie verschwinden. Parallel dazu beobachten wir
aber, dass immer mehr Autorenteams auftreten oder Performancegruppen einen ganz
anderen – eben kollektiven – Ansatz der Textproduktion für sich ausprobieren.
Der Autor als vermeintlich feste Entität, auch der Geniebegriff, wird
immer vehementer aufgebrochen. Eine große Sehnsucht und Bereitschaft junger
Theatermacher ist auszumachen, viele Kräfte und Perspektiven zu bündeln, was
ein neues – sehr lebendiges und wandelbares – Verständnis von Text oder
Autorenschaft mit sich bringt.
Der Zweifel an Autoritäten, der Zweifel auch an blindem Individualismus
und an absoluter und unantastbarer Urheberschaft ist bei den jungen Autoren spürbar
und bricht sich in neuen, kollektiven Formen der Zusammenarbeit und der
Produktion von Text und Bedeutung immer mehr Bahn.
Das Bild des individuellen Autors ist sicher nicht vollständig
verblasst, aber neue Formen der Urheberschaft und ein neues Spiel mit
Bedeutungen ist zu erleben und zu diskutieren.
Die Fragen stellte Michael Isenberg (ab der nächsten Spielzeit Dramaturg am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf).
Die Leitung der
Autorenlounge 2013 setzt sich zusammen aus Jana Beckmann, Anne Brammen, Martje
Friedrich und Jannis Klasing – mit Unterstützung von Anne Rietschel.
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