Samstag, 22. Juni 2013


Kollektive Autorenschaft

Eindrücke vom Diskussionsforum “Denkraum” der dg:möglichmacher im Rahmen der Autorenlounge


22.06.2013, Haus III&70, Hamburg

DramaturgInnen und AutorInnen sitzen zusammen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch über Formen kollektiver Textarbeit. Bestandsaufnahme und Formulierung struktureller Bedingungen stehen dabei im Fokus. Zwei Runden Tischgespräche, zwei Abschlussdiskussionen im großen Kreis. Kaffee, Zigaretten, Wasser, Flipchart, Stift, Papier und Worte.




Schon zu Beginn scheint klar, dass es nicht um eine klare, erschöpfende und systematische Diskussion gehen kann. Allein schon deshalb, weil ein grundlegender Text zur gegenseitigen Verständigung fehle, wie Christoph Macha von den dg:Möglichmachern zu Beginn erklärt, außer Pollesch, vielleicht (ein Autor, hinter dem sich mehr oder weniger ein Kollektiv versteckt).
So geht es auch immer wieder ganz grundsätzlich darum, was kollektive Arbeitsformen im Theater seien und mit welchem Ziel sie überhaupt angestrebt würden (wessen Ziel, eines Einzelnen oder eines Kollektivs? Wo hört das Mitdenken auf, wo fängt es an?). Oft gehe es um eine größere Einbindung und damit mehr Engagement der einzelnen Beteiligten im Produktionsprozess ("Ist Nicht-Identifizierung heutzutage nicht manchmal wünschenswerter?"), aber auch um Erweiterung der Perspektiven, besonders in von Dramaturgenseite aus geforderten, stadtraumbezogenen Projekten (überhaupt ist viel von Stadttheater und wenig von Text die Rede). Andererseits bestehe jedoch auch die Gefahr der mangelnden künstlerischen Expertise (Heiner Müllers "Konsensmilch" macht den Kaffee leichter bekömmlich). 

Der Autor Johannes Schrettle kritisiert den Begriff Kollektiv, da man sich hiermit in eine gefährliche Grauzone zwischen theater- bzw. schauspieltechnischem Vokabular und politisch zu hinterfragenden Machtbegriffen begebe, denen man in einem blinden Begriff von Kollektivität selbst wieder erliegt (Grundsätzliches scheint aber schwieriger auszudiskutieren in der großen Gruppe.)
So werden einzelne Modelle und Gruppen besprochen (HAU, Schaubühne, Goebbels' Forderung nach einem Künstlerhaus, Schlingensief, das Schreibkollektiv Berlinki und ihr Stück "15.15" etc. etc.) und nach generellen strukturellen Erfordernissen gefragt. Solle man etwa Kollektiven einen eigenen Freiraum im Stadttheater geben (Stichwort: Artist in Residence)? Wie früh müssten SchauspielerInnen und Gewerke in den Entscheidungs- und Produktionsprozess eingebunden werden (eine Gruppe entwirft dazu ein grundsätzliches, groß angelegtes Kommunikationsmodell, mit Freiraum zum Scheitern und Nicht-Bereitschaft)? Gibt es überhaupt so etwas wie allgemeine Regeln oder sei nicht jedes Haus und jede Struktur abhängig von den Leuten, die darin arbeiten und wie, "mit welcher Sehnsucht", diese arbeiten wollen, wie die Autorin Ivna Zic es formuliert.

Für mich bleibt daher am Ende, nach einer Vielzahl von anregenden, teils heftig geführten Diskussionen mit unterschiedlichsten Standpunkten, die grundlegende Frage unbeantwortet, warum man die strukturellen Bedingungen des Theaterbetriebs versucht neu zu denken, welcher künstlerische oder (ernsthafte) gesellschaftspolitische Wille hinter kollektiven bzw. arbeitsteiligen Formen des Schreibens steht, die tatsächlich ein grundsätzliches Umdenken nötig macht. 

Wir werden sehen, ob in Zukunft hierzu mehr zu lesen und weiter zu diskutieren sein wird. Die Teilnehmer dieser Veranstaltung zeigten Bereitschaft an einem gemeinsamen (!) Text zu diesem Thema zu arbeiten. (Er wird selbstverständlich auch an dieser Stelle veröffentlicht.)

M.I.


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